Samstag, 19. Mai 2018

Helle Barden

Autor: Terry Pratchett
Seiten: 384
Verlag: Goldmann
ISBN: 978-3-442-48687-8

Worum geht's?

Die Stadtwache von Ankh-Morpork wird aufgestockt. Damit die »angemessene Repräsentation einzelner Volksgruppen oder so« gewährleistet ist, erhält die Truppe einige ungewöhnliche Rekruten, darunter einen Zwerg, einen Troll und einen Werwolf. Natürlich ist der Ärger vorprogrammiert. Doch die Wache hat nicht nur mit internen Problemen zu kämpfen: Der Assassinen-Gilde wird eine gefährliche Waffe gestohlen, und einflussreiche Kräfte wollen verhindern, dass die Wache ihre Ermittlungen fortsetzt. Zum Glück sind Hauptmann Mumm und seine Männer nicht so leicht aufzuhalten.

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Wer ist der Autor?

Terry Pratchett, 1948 in Buckinghamshire in England geboren, war Journalist und Pressesprecher für Atomkraftwerke, bis er mit seinen Romanen so erfolgreich wurde, dass er sich ganz auf seine Schöpfung konzentrieren konnte: die bizarre Scheibenwelt. Sie wird von vier Elefanten getragen, die auf dem Rücken einer Schildkröte durch das Weltall treibt. Ähnlich fremd-vertraut muten auch die Bewohner der Scheibe an, wo es Zauberer, Götter, Hexen und Ordnungshüter wie auf jeder anderen Welt gibt, alle mit einer kleinen Macke. Sie sind ein bisschen feige, und sie stolpern von einem haarsträubenden Abenteuer in das nächste - zum Vergnügen der Leser, die sich ständig von Ferne an ihr eigenes Leben erinnert fühlen. Zudem greift Pratchett in seinem vor witziger Sprachakrobatik und versteckten Anspielungen nur so sprühenden Werk häufig auf Motive der Literatur sowie auf kulturelle und politische Phänomene unserer Welt zurück.

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Wie fand ich es?

> Dieses Buch wurde mir als Rezensionsexemplar vom Goldmann Verlag zur Verfügung gestellt. <

Ein weiterer Teil der Scheibenweltromane, der sich ganz um die Nachtwache dreht, eine stetig wachsende und stetig chaotischer werdende Truppe... wobei, verrückter als sie anfangs waren scheint kaum möglich. Dennoch hat es dieses Buch geschafft, die ganze Stimmung der Kerngruppe zu behalten und doch neue Angehörige in die bekannte Struktur zu integrieren und das, was in "Wachen! Wachen!" gut war, zu multiplizieren und dazu zu addieren, statt die Dynamiken komplett zu verändern. Auch Letzteres kann manchmal eine gute Idee sein - in diesem Fall war es gut, dass dieser Versuch nicht unternommen wurde.

Doch bleiben wir erst einmal beim Kern, dem Fixpunkt der ganzen Geschichte - Samuel Mumm. Eine Figur, die ich von ihrem ersten Auftreten an in "Wachen! Wachen!" ins Herz geschlossen habe und es ist einfach schön zu sehen, wie er sich weiterentwickelt. Er besteht quasi nur aus Ecken und Kanten und ist gerade darum eine wunderbare Identifikationsfigur, denn ein bisschen was von jedem Menschen steckt wahrscheinlich in Sam Mumm, ohne, dass er wirkt wie eine Leinwand auf die jeder pflastern kann was er will... er ist sehr ungewöhnlich, und gleichzeitig nichts anderes als schmerzhaft gewöhnlich. Ich jedenfalls sehe mich immer ein wenig in ihm, besonders in seinem Versagen, deshalb ging mir seine Geschichte so nah. Und auch abseits von seiner Authentizität - seine Scharmützel mit dem Patrizier, sein Abschied (?) von den Straßen der Stadt, die er als Hauptmann sehr viel besser kennt als seine Westentasche... seine emotionale Entwicklung ist erstklassig und ich freue mich einfach immer, über ihn lesen zu können.

Die im Klappentext so charmant als "interne Probleme" bezeichnete Thematik der Konflikte zwischen den verschiedenen Rekruten ist einer meiner Lieblingshandlungsstränge des Romans. Nicht nur weil ich Anguas und Karottes Interaktionen sehr mochte - wie komplett unterschiedliche Charaktere zusammentreffen und irgendwie harmonieren, sorgt eigentlich immer für interessante Szenen, besonders, wenn Terry Pratchett sie schreibt. Auch, weil damit wie immer bei Pratchett reele Problematiken und Diskussionen aufgegriffen werden. Hasskulturen und jahrhundertelange Zwistigkeiten, gegenseitige Abneigung die nur auf Vorurteilen basiert... kennen wir doch, nicht?

Die Freundschaft zwischen Detritus (auch eine absolut witzige Figur, die so langweilig hätte sein können, aber alles andere als eindimensional daher kommt) und Knuddel war darum besonders herzerwärmend und -zerreißend - wer das Buch gelesen hat, wird verstehen warum beides. Insgesamt schafft man in dieser Geschichte wieder die unmöglich erscheinende Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Humor. Philosophische Gedanken wechseln sich ab mit absurden Dialogen und schrägen Details der Scheibenwelt, nur um getoppt zu werden von den Wendungen der Rahmenhandlung. Die Mischung machts eben nicht nur beim Backen!

Alles in allem ein Roman, der so typisch Terry Pratchett und trotzdem (oder deswegen?) alles andere als vorhersehbar oder langweilig ist. Neue Figuren, neue Aspekte des Lebens in Ankh Morpork, trotzdem die bekannt ironisch-nachdenkliche Atmosphäre, die hintergründigen Sätze die zum zweimal lesen und dreifach denken einladen und... einfach Sam Mumm generell. Alles gute Gründe dieses Buch zu lesen und zu lieben!

 Sterne

Vielen Dank für dieses Rezensionsexemplar an den Goldmann Verlag und das Bloggerportal Randomhouse!

Dienstag, 15. Mai 2018

Palace of Glass. Die Wächterin

Autorin: C.E. Bernard
Seiten: 416
Verlag: penhaligon
ISBN: 978-3-7645-3195-9

Worum geht's?

London wäre ein Ort, an dem Tugend und Angst regieren. Ein hartes Gesetz untersagt den Menschen, die Haut eines anderen zu berühren. Denn die Bevölkerung und insbesondere das Königshaus fürchten die Gefahr, die von den sogenannten Magdalenen ausgeht – Menschen, deren Gabe es ist, die Gedanken anderer durch Berührung zu manipulieren. Die junge Rea zeigt so wenig Haut wie möglich. Einzig während illegaler Faustkämpfe streift sie ihre Handschuhe ab. Doch wie kommt es, dass die zierliche Kämpferin ihre körperlich überlegenen Gegner stets besiegt? Und warum entführt sie der britische Geheimdienst? Bald erfährt Rea, dass sie das Leben des Kronprinzen beschützen muss. Doch am Hof ahnt niemand, dass sie selbst sein größter Feind ist.

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Wer ist die Autorin?

C.E. Bernard ist das Pseudonym von Christine Lehnen, die 1990 im Ruhrgebiet geboren wurde und seitdem in Kanada, den Vereinigten Staaten, Australien und Paris gelebt hat. Ihre Kurzgeschichten wurden mit den Literaturpreisen der Jungen Akademien Europas und der Ruhrfestspiele Recklinghausen ausgezeichnet. Seit 2014 lehrt sie Literarisches Schreiben an der Universität Bonn. Daneben studiert Christine Lehnen Englische Literatur und Politikwissenschaft, forscht zum Thema Kreatives Schreiben und inszeniert Theaterstücke mit der Bonn University Shakespeare Company.

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Wie fand ich es?

> Dieses Buch wurde mir als Rezensionsexemplar vom penhaligon Verlag zur Verfügung gestellt. <

Ich habe "Palace of Glass" verschlungen - im wahrsten Sinne des Wortes. Plötzlich waren hundert Seiten vergangen und es war gefühlt keine halbe Stunde vergangen! C.E. Bernhard hat eine geheimnisvolle, bedrohliche Welt erschaffen, die eine Art Alternativwelt/Zukunftsversion unserer Realität abbildet. Was sie daraus gemacht hat ist wirklich etwas Neues, wenn auch nicht unbedingt die Art von "Magie", so doch Aspekte wie der Umgang damit. Die Bewältigungsmechanismen der Magdalenen zum Beispiel machen ihre Fähigkeiten sehr viel authentischer.

Berührung - eine Thematik, von der ich nie angenommen hätte, dass sie so gut in ein fantastisches/dystopisches Setting passen würde, die mich aber lange bewegt hat. Vielleicht deshalb traf mich diese Geschichte so tief. Ich denke allerdings, die meisten Leute werden sich mit der Protagonistin Rea identifizieren können. Auch wenn ihre Fähigkeiten und ihr Dasein als Magdalena erst einmal weit weg vom Durchschnittsbürger und nicht gerade realitätsnah wirken, kann man viele Parallelen zur Gegenwart in "Palace of Glass" sehen. Wenn man bereit ist, ein Stück über den Tellerrand zu blicken.

Denn bezogen auf die Wirklichkeit kann man die gewisse "Sucht" nach Berührung Reas und das strikte Unterdrücken von Berührung durch die monarchistische Regierung metaphorisch betrachten. Berührung kann (und ist auch im Roman) viel mehr sein als Haut, die Haut berührt - seelische Berührung, emotionale Verbindungen werden auch heute unterdrückt. Nicht ganz so systematisch oder staatlich, aber weitgehend akzeptiert. Wessen Art von zwischenmenschlicher Beziehung nicht gefällt, der hat zu kämpfen, siehe LGBT+-Personen. Berührung, Emotionen, haben ihren gesellschaftlichen Wert ein Stück weit verloren, auch wenn vor allem die junge Generation auf Individualität, das Zulassen und das Zelebrieren von Gefühlen und eben dieser "Berührung" im weiteren Sinn drängt. Profit, Geld, Sicherheit sind wichtiger geworden.

Auch abseits von ihrer Authentizität und der Möglichkeit, sich mit ihr zu identifizieren, ist Rea eine wunderbare Protagonistin mit Stärken und Schwächen - die so einiges mitmachen muss in diesem Roman. Facettenreiche Figuren, bei denen man nie so richtig weiß, auf welcher Seite sie stehen und was sie antreibt, zeichnen diesen Roman mit aus und treiben ihn voran. Die Charaktere stehen im Fokus der Geschichte und ich habe vor allem deshalb immer weitergelesen (und hätte am liebsten direkt mit dem nächsten Buch der Reihe weitergemacht). Nicht nur Rea als Hauptfigur sondern auch z. B. Ninon, eine Duchess, bekommen die Gelegenheit zu scheinen und Facetten zu zeigen - ich hoffe, dies wird sich noch weiterentwickeln und wir werden besonders in die Vergangenheit einzelner Figuren noch näher eintauchen, speziell der französischen.

Ich bin jetzt schon wahnsinnig gespannt auf Band 2 und 3 dieser faszinierenden Trilogie! Eine gefährliche Welt, immer wieder überraschende Figuren, eine Liebesgeschichte die trotz etwas klischeehafter Grundidee überzeugen kann und Spannung pur! Eindeutig zu empfehlen an alle Fantasy/Dystopie-Fans!

 bis Sterne

Vielen Dank für dieses Rezensionsexemplar an den penhaligon Verlag und das Bloggerportal Randomhouse!

Mittwoch, 9. Mai 2018

Sturm über Windhaven

Autoren: George R. R. Martin, Lisa Tuttle
Seiten: 448
Verlag: penhaligon
ISBN: 978-3-7645-3187-4

Worum geht's?

Die Menschheit hat ihre Wurzeln vergessen, nur an eines erinnert sie sich noch: das Fliegen.
Windhaven – eine wunderschöne Wasserwelt, doch geplagt von gewaltigen Stürmen. Die Menschen leben verstreut auf vielen kleinen Inseln, und es ist fast unmöglich, Kontakt zueinander aufzunehmen. Dennoch – oder deswegen – ist auf Windhaven ein alter Traum wahr geworden: Menschen können fliegen. Doch die Flügel sind kostbar, und die Gilde der Flieger ist eine streng abgeschottete Elite. Trotzdem will sich Maris von Amberly ihren Traum vom Fliegen nicht nehmen lassen …

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Wer sind die Autoren?

George R. R. Martin, 1948 in Bayonne, New Jersey, in den USA geboren, veröffentlichte seine ersten Kurzgeschichten im Jahr 1971 und gelangte damit in der amerikanischen Science-Fiction-Szene zu frühem Ruhm. Gleich mehrfach wurde er mit dem renommierten Hugo-Award ausgezeichnet. Danach war George R. R. Martin einige Jahre in der Produktion von Fernsehserien tätig, etwa als Dramaturg der TV-Serie "Twilight Zone". Erst im Jahr 1996 kehrte er mit einem Sensationserfolg auf die Bühne der Fantasy zurück: Mit dem ersten Band von "Das Lied von Eis und Feuer" setzte er einen Meilenstein in der modernen Fantasy und schuf ein gewaltiges Epos in bester Tolkien-Tradition: eine düstere, grausame, an das Mittelalter erinnernde Welt voller Intrigenspiele, Machtpolitik und Krieg, die die Leser packt und unerbittlich in ihren Bann zieht. [...]
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Lisa Tuttle wurde 1952 in den U.S.A. geboren, lebt aber schon seit über zwanzig Jahre in Großbritannien. Bekannt sind vor allem ihre Horror- und Science-Fiction-Romane, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde.
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Wie fand ich es?

> Dieses Buch wurde mir als Rezensionsexemplar vom penhaligon Verlag zur Verfügung gestellt. <

Ich muss zugeben, zwar hat mich die Idee fasziniert, doch allzu viel hatte ich nach den ersten Seiten nicht erwartet - und gleichzeitig schon etwas sehr Besonderes, das einfach eine Weile braucht sich zu entfalten. Immerhin stammt diese Geschichte teils vom "Ein Lied von Eis und Feuer"-Schöpfer George R. R. Martin - und von Lisa Tuttle, von der ich bisher leider sonst nichts gelesen habe. Nach "Sturm über Windhaven" würde ich dazu nicht nein sagen.

Denn meine zweite Vermutung hat sich als zutreffend herausgestellt - die Geschichte braucht eine Weile, ihren Zauber zu entfalten, dann hat sich jedoch eine Atmosphäre entwickelt, die es erschwert, mit dem Lesen wieder aufzuhören. Der Schreibstil hat einen großen Anteil daran. Schlichte, ruhige Sätze legen dar, und vermitteln Gefühle und Gedanken klar - die emotionale Nachwirkung kommt im Nachhinein, ein wenig unterschwellig und binden den Leser emotional an die Geschichte.

Wie mir auch bei "Das Lied von Eis und Feuer" schon aufgefallen ist, weiß George R. R. Martin Konsequenzen bei seinen Figuren zu ziehen, Lisa Tuttle offenbar auch. Es gibt keine einfachen Lösungen, keine Konflikte die sich von selbst entschärfen oder die einzig wahre große Liebe, die jegliche Probleme in Luft auflöst. Vor allem bei der Hauptfigur, Maris, auf die ich gleich näher eingehen werde, aber auch bei den Nebenfiguren.
Ein Happy End um jeden Preis wird überschätzt, vielleicht hat mir das Buch deshalb besonders in diesem Punkt viel Spaß gemacht. Zum Beispiel in Bezug auf Val, eine zwar nur im Mittelteil auftauchende, aber sehr komplexe und intensiv gezeichnete Figur. Gemeinsam mit Maris ändert man schrittweise seine Meinung über ihn - nach dem Prinzip: "Einen Schritt vor, zwei Schritte zurück." Dennoch kann man nicht umhin mit ihm mitzufiebern.

Ähnlich bei Maris - ihre Gedanken und Gefühle, und vor allem ihre daraus resultierenden Handlungen, ja ihr gesamtes Leben, stehen im Mittelpunkt von "Sturm über Windhaven". Ihre Aufs und Abs bekommt man sehr direkt mit, und es gibt von beidem einiges. Sie agiert als eine sehr individuelle, unabhängige Figur, die nicht nur auf ihr großes Ziel - das Fliegen - zu reduzieren ist. Anfangs habe ich diesen Fehler zugegeben gemacht - und wurde von einer sehr mutigen Wendung überrascht, die dem Charakter völlig neue Richtungen und Möglichkeiten bot. Je weiter die Geschichte fort schritt, desto mehr wurde sie an ihre Extreme getrieben und überraschte mich als Leser dabei immer wieder.

Alles in allem ein spannender Fantasy-Roman, der zwar ein paar Längen aufweist, doch dafür mit den vielen Facetten der Hauptfigur, einer interessanten Fantasy-Welt und einem sehr emotionalen, tragischen letzten Teil aufwarten kann. Zu empfehlen!

 Sterne

Vielen Dank für dieses Rezensionsexemplar an den penhaligon Verlag und das Bloggerportal Randomhouse!